Daily Lena

 

Bühnenlichtgestalt

Gepostet von um 17:40 Uhr

by helicopter
Damals, in der Halle

Am Anfang des Konzerts, die ersten Noten sind gesungen, ein Stutzen. Moment mal, da stimmt was nicht: Das ist live. Wo ist der viereckige Kasten um sie rum?

Die Augen sehen, aber der Kopf will nicht verstehen. Die Gedanken geraten ins Straucheln, aber besser die als sie, die sich gerade anschickt, einen neuen jener Abende zu erobern, deren es so viele noch gar nicht gab – und auch nicht mehr geben wird. Zahlreich hingegen die Herzen, die ihr direkt am Bühnenrand zu Füßen gelegt werden und von weiter hinten zufliegen. Wäre es über die auf den Wogen der Begeisterung tanzenden Akkorde hinweg zu vernehmen, man hörte, wie aufgeregt sie rasen und flattern und pochen und wummern. Ganz wie ihr eigenes, so wird man später erfahren. Doch das große Rund ist auch von einer ruhigen Gewißheit erfüllt: Wie wir hier beieinander sind, sind wir bei einander in guten Händen. Nicht erst seit heute. Nicht nur für heute.

Für eines reicht das Denken immerhin: Noch viel schmaler als vermutet, eine Gigantin der Zierlichkeit, aber ja, doch, das ist sie. In Fleisch und Blut. In persona. In echt. Reichlich in für eine, die reichlich out sein müßte. Dann jedenfalls, ginge es nach den unbändigen Unverständigen, die mit kollektiver Besessenheit Vergessenheit herbeizuschreiben versuchen. Zwar könnten sie es besser wissen, aber sie wollen partout keine Besserwisser sein. Und so sind ihre Worte falsch bemessen, was sie maßlos macht, und falsch bewertend, was sie wertlos macht. Hinzu gesellt sich die ungehörige Hörigkeit gegenüber der eigenen Zunft. Was da ungeprüft wiederholt und voneinander abgeschrieben wird, lohnt der Wiederholung nicht. Schreibt es einfach ab.

Präsenz als Präsent. Nicht länger nur auf dem Schirm, doch mit demselben Charme. Lebhaft leibhaftig auf den Brettern, die ihr wohl nicht die Welt, nun aber zwei Stunden lang ihre Welt bedeuten. Wie leicht sie sich diese von der Zeit nur geborgten und ihr doch auf ewig entrissenen Momente zu eigen macht, leichter noch nimmt sie nur manchen Fehler. Shit happens, but she doesn’t give a shit, she’s not trying to be a little Miss Perfection. Was wäre ein Freudenfest ohne Freude? Selbst bei Stromausfall würde die Halle nun hell erstrahlen. Die Bewegungen fließen, Tränen auch. Ein Abend im Fluß, doch jeder einzelne Augenblick wird Bestand haben. Urheberrechtlich nicht zu beanstandende Bestandsaufnahmen dokumentieren: Keine Konserve in Reserve. Alles live, und life heißt Leben.

Dieser oder ein anderer Augenblick, zu Hause

Wieder mal nicht ein, sondern das Konzert. Das jetzt zwar vorbei, aber auch morgen noch ist. Nicht das eigene war und doch nicht fremd anmutet. An Dimensionen verloren hat, nicht jedoch an Tiefe. Seine Zeit braucht, auch wenn sie derweil vergessen wird. Keines unter vielen war, aber eines für viele.

Mit ihrer ersten Tournee hat Lena den Rahmen des Mediums, das sie ein intensives Jahr lang prägte, nicht nur verlassen, sie hat ihn gesprengt. Poparchäologen mögen einst einen versteinerten Splitter finden; jene künftige Generation könnte sich glücklich schätzen, denn das Ausmaß der Pulverisierung ist immens. Insofern war der anschließende, selbst von dem einen oder anderen Fan als Overkill empfundene Mattscheibenmarathon, dessen Zieleinlauf im Düsseldorfer ESC-Finale mündete, in seiner völligen Rückwendung auf die Welt der Röhren, Plasmen und Flüssigkristalle ein Paradoxon – endete er doch mit einer Bekräftigung des Zertrümmerns.

Wünschte man sich anfangs in Ermangelung hauseigener Contenance, ihr neuerlicher Antritt möge die fetteste aller Sahnetorten sein, mit freundlichen Grüßen mitten in die sich zerreißenden Mäuler und geifernden Fratzen der Pöbler und Stänkerer plaziert, wurde man von Lena selbst rasch eines stilsicheren Besseren belehrt. Wie schon oft wußte sie es besser und machte es auch besser – so daß am Ende überraschenderweise nicht ihre, ganz wie erhofft brillante, Performance im Wettbewerb zum Sinnbild geworden war. Der große Lena-Moment, der an Ausdruckskraft trotz seines randläufigeren Charakters keinen Vergleich mit dem des Vorjahres zu scheuen braucht, ereignete sich vielmehr schon früh am Abend: die Blitzinszenierung einer geborenen Entertainerin. Ein Schnitt der Bildregie, der auf vielen Sofas und Teppichen zu Martiniflecken geführt haben dürfte – man war im Angesicht des Effekts nicht gerührt, sondern geschüttelt. Ein Kontrabaß, wie ein von Botero entworfenes Ausrufezeichen nachdrücklich in den Bühnenboden gerammt, ließen sich gummibewehrte Baßstachel überhaupt in Bühnenböden rammen. Und oben auf den Zargen eine, die bereits beim letzten Mal nicht hätte gewinnen müssen, um Gewinnerin zu sein. Pure Spiellaune, überschäumende Freude, Lena gewordene Energie – dabei nicht die Spur bereits genossenen oder voreilig vorweggenommenen neuen Triumphs. Es lag also kein bißchen an Lena, daß sich beim Anblick ihres sich der Hallendecke entgegenreckenden Armes dennoch die Assoziation einer Art Nike der Nike-Ära einstellte. Wie auch dieser Gedanke: Keine kleine Insel im Hudson, eine Riesenhalle am Rhein. Keine hohle alte Statue, eine erfüllte junge Frau. Und doch eine wunderbare Gemeinsamkeit: She’s enlightening the world.

Jene neun Konzerte, jener eine Abend waren keine letzten, aber letztgültige Statements: Das natürliche Habitat der Lena-Katze war, ist und bleibt die Bühne. Dort wird immer Raum für sie sein – in der größten Halle sowieso, aber eben auch im kleinsten Club. Somit bringt selbst der noch schwammige Ausblick auf eine Akustiktour später im Jahr den Puls mächtig auf Trab. Es gäbe endgültig kein Mittel mehr gegen die Unmittelbarkeit einer Künstlerin, die ihren Lern- und Reifeprozeß bislang in Siebenmeilenstiefeln vollzogen hat. Würden die Unplugged-Pläne Wirklichkeit, wäre zudem ein nicht minder faszinierendes Phänomen zu bestaunen: Was ungeachtet aller Vagheit viele schon jetzt mit dem Virus fiebriger Vorfreude infiziert hat, was mit Vorstellungen aufgeladen, mit Hoffnungen und Träumereien verknüpft wird, mutierte am Ende vom sakramentalen Hochamt zur größten Selbstverständlichkeit. Es wäre ein Wiedersehen unter Freunden, Lenas Rückkehr an einen Ort, der immer einer der ihren sein wird. Landläufig nennt sich das: nach Hause kommen.

Am Ende der DVD, der Abspann ist gelaufen, ein Stutzen. Moment mal, da stimmte was nicht: Das war nicht live. Was sollte der viereckige Kasten um sie rum?