Daily Lena

 

Aus tiefster Seele

Gepostet von um 17:41 Uhr

Von der Rettung eines Songs

von gauloises und Tall Blonde Helicopter

Die Jahre meinten es nicht gut mit ihm. Zu Anfang, 1968, ein bescheidener Erfolg zwar, der aber paradoxerweise das Karriereende einer ins Visier des rassistischen Kapuzenmobs geratenen weißen Sängerin bedeutete, die sich in ihren musikalischen Vorlieben als “nigger lover” entpuppt hatte. Dann immerhin fester Bestandteil des in Stax-Traditionen verhafteten Soul-Kanons. In den Neunzigern schließlich von der recyclingsüchtigen Hip-Hop-Industrie zum massenverträglichen Hit gesampelt – was jedoch wiederum negative Folgen nach sich zog, diesmal allerdings nur für ihn selbst. Die Verdammnis ewiger Abnudelung, so möchte man den hohen Preis nennen, den er für die aus Top-Ten-Positionen beidseits des Atlantiks resultierende Popularität zu zahlen hatte. Zuletzt fristete er in immer hinfälligeren Existenzen ein ebenso trost- wie hoffnungsloses Schattendasein in den Fängen seelenloser Alleinunterhalter und schmerbäuchiger Allzweckkapellen, als Hymne auf den Bräutigam in Wirtshaussälen und Auftrittsfanfare für John-Holmes-Gedächtnis-Stripper in den Wochenendshows defizitärer Landdiscos.

Es brauchte die Souveränität eines musikalischen Charakterkopfs wie Lena Meyer-Landrut, um dem fast Verblichenen neuen Odem einzuhauchen. Mit der Entscheidung, Linda Lyndells Soul-Klassiker “What A Man”, der aller Welt als das 25 Jahre jüngere Rap-R’n’B-Kombi-Cover “Whatta Man” von Salt’N’Pepa und En Vogue bekannt ist, als Titelsong für Matthias Schweighöfers Regiedebüt aufzunehmen und als neue, am 2. September erscheinende Single herauszubringen, glückt der Sängerin nach dem Ende ihrer ESC-Phase und einer Verschnaufpause die nicht laut genug zu preisende Rettungstat, dieses feine kleine Werk von den bislang unentrinnbar anmutenden Banden eines 08/15-Coversongs zu befreien.

Staunend werden wir Zeugen, wie die instinktivste Künstlerin, die das Pop-Business hierzulande je hervorgebracht hat, im Verlauf von drei Minuten die Stilrichtung des Soul zu ihrem ureigenen Terrain erklärt. Das, was Lena schon immer hatte – einen ungeheuren Reichtum an stimmlicher Variabilität –, überführt sie endgültig in eine Kunstform, die selbst eingefleischte Fans ungläubig vor den Lautsprechern verharren lässt. Sie interpretiert den Text nicht einfach, sie umgarnt ihn, sie flirtet und tanzt mit jedem einzelnen Buchstaben von ihm; rauchig und säuselnd zugleich, lieblich und fauchend, en passant und mittendrin, lasziv und verspielt und sexy as hell.

Hervorzuheben ist das Vermögen dieser Sängerin, selbst einzelne Worte so zu intonieren, dass daraus famose Ereignisse werden. Wie sie bei “Make me do the James Brown” den Vornamen des Godfather of Soul zelebriert, dürfte bei der Aufnahme wohl dazu geführt haben, dass dieser entzückt vom Himmel herunterschaute. Das “kills” in “He thrills me, kills me” ist eine einzige Kapitulationserklärung; und nach “Back up and do the tighten up” wird ein “Hah!” herausgeschleudert, das verruchter nicht mehr sein könnte.

War dieser Song bisher ein Klassiker, wird er nun zur Versuchung. Obwohl die Erzählung von der Verführung der Protagonistin handelt, ist es der Zuhörer, der von der Sinnlichkeit des Vortrags verführt wird. Nie war Lena betörender.

Und nebenbei bemerkt: Eine junge Sängerin, der es auf so selbstverständliche Weise gelingt, die besten Erinnerungen an die geschmeidige Lässigkeit einer Rickie Lee Jones und die sanfte Hintergründigkeit einer Suzanne Vega wachzurufen, ohne sich auch nur eine Sekunde lang dem Ruch einer Imitatorin auszusetzen, macht als Interpretin alles richtig – und alles ganz eigen.

Wer Ohren hat zu hören, sollte spätestens jetzt aufhorchen. Das ist das Mindeste. Besser noch: sperrangelweit aufsperren. Und noch besser: die Single kaufen, kaufen, kaufen.